Kaffeesatzleserei, „Malen nach Zahlen“, Stammtisch-Orakel oder doch eine solide Technik zur Einschätzung der Märkte? Die Technische Analyse sieht sich seit ihrer Entwicklung in der öffentlichen Diskussion immer wieder kritischer Würdigung, aber auch Geringschätzung ausgesetzt. Drei zentrale Kritikpunkte und eine Antwort darauf.
Sind Trendlinien, Indikatoren und Kursformationen banale Kaffeesatzleserei ohne substantielle Bedeutung? Oder funktioniert die Technische Analyse nur im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung?
Behauptung I: Trendlinien sind Kaffeesatzleserei
Kritiker monieren, dass Linien im Chart im Hinblick auf die Marktentwicklung dieselbe Aussagekraft hätten wie das Murmeltier, das die verbleibende Dauer des Winters prognostizieren soll. In dieser Behauptung schwingt der Vorwurf gegenüber Chartisten mit, ihre eigene Bedeutung durch vermeintlich vielsagende Linien im Stile einer Pseudowissenschaft zu überhöhen.
Entgegnung: Kurse bewegen sich in Trends
Die Kursentwicklung am Aktienmarkt lässt sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Mit geeignetem Datenmaterial lässt sich jederzeit nachweisen, dass sich Kurse in Trends bewegen. Trends sind ebenso wie Widerstände und Unterstützungen das Resultat konkreter Entscheidungen der Marktteilnehmer, die an bestimmten Kursniveaus in großer Zahl vergleichbare Entschlüsse fassen.
Behauptung II: Die Vergangenheit sagt nichts über die Zukunft aus
Kritiker der TA betrachten die Kursentwicklung an den Finanzmärkten aus dem Blickwinkel der Chaos-Theorie: Die Ereignisse der Vergangenheit erlauben demnach keinerlei Rückschlüsse auf die Zukunft. Kursformationen und jegliche auf Mustern basierende Überlegungen der Technischen Analyse wären damit hinfällig.
Entgegnung: Kollektives Verhalten ist nicht chaotisch
Historiker wissen, dass sich Geschichte nicht wiederholt. Bestimmte Muster aus der Geschichte wiederholen sich jedoch immer wieder – sie lassen sich zwar nicht mit 100 % Wahrscheinlichkeit frühzeitig erkennen, aber in einer hinreichenden Anzahl.
Die Technische Analyse basiert auf Kursen und diese sind das Resultat der Psychologie der Marktteilnehmer, die in ihrer Gesamtheit als Konstante betrachtet werden kann. Die Kurse sind damit nicht dem Chaos unterworfen. Sie sind auch keine Laplace-Wahrscheinlichkeiten wie im Würfelspiel: Hinter jedem Kurs stehen menschliche Entscheidungen und Erinnerungen. Kurse haben deshalb anders als Zahlen im Glücksspiel ein Gedächtnis.
Behauptung III: Charttechnik ist eine self fulfilling prophecy
Kritiker behaupten, die Technische Analyse funktioniere zwar – aber nur als selbsterfüllende Prophezeiung: Gerade weil Marktteilnehmer z. B. an das Konzept von Trends glaubten, setzten sich Trends über einen langen Zeitraum fort.
Entgegnung: Die Technische Analyse wurde von den „Fundis“ übernommen und nicht umgekehrt
Es lässt sich wie oben bereits angedeutet nachweisen, dass Kurse sich bereits lange vor der Etablierung der TA als Disziplin in Trends bewegt und Muster gebildet haben. In der Tat ist die wachsende Fokussierung vieler Marktteilnehmer auf die Chart- und Markttechnik aber möglicherweise ein Problem.
In der Anfangszeit der TA konnten Chartisten die Kurse als optimalen Filter des gesamten Wissens- und Informationsstandes der Fundamentalanalysten betrachten. Seit, begünstigt nicht zuletzt durch das Internet, die Zahl der „Techniker“ wächst und auch institutionelle Investoren Entscheidungen zumindest aus unter Beachtung der TA treffen, wächst das Risiko von Fehlsteuerungen.